Rückblick Kapitel 4: Codierung und Programmierung

Episode Nr.
47

Was sind Codes und Programme? Wie unterscheiden sie sich und in welchem Verhältnis stehen sie?

Alle Operationen (Kommunikationen) des Rechtssystems richten sich daran aus, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden. Die Unterscheidung Recht/Unrecht ist die leitende Unterscheidung des Systems, kurz: die Leitdifferenz. Zwei gegensätzliche, einander ausschließende Werte bilden einen zweiwertigen Code, der die Einheit des Rechtssystems repräsentiert. Der Code ist entsprechend invariant.

Mit einem Code allein lässt sich jedoch noch kein Sinn produzieren. Denn Sinn bedeutet: Verweisen auf anderes. Die Kommunikation verweist auf etwas, das sie unterscheidet und bezeichnet. Um Recht von Unrecht zu unterscheiden, braucht es einen Bezugspunkt: Worauf bezieht sich die Unterscheidung? Ohne Referenzpunkt wäre der Code „leer“.

Programme liefern diese „Zusatzsemantik“. Im Gegensatz zum Code sind Programme variabel. Erst mit Programmen kann sich das System verändern und wachsen. (Und „verändern“ bedeutet hier keineswegs „anpassen an die Umwelt“, sondern autonomes Entscheiden, anhand der systeminternen Programme, die sich am Code ausrichten.)

Das heißt: Code und Programme ergänzen einander. Durch die Unterscheidung von Code und Programmen vollzieht das Rechtssystem seine Autopoiesis. Es reproduziert sich aus den Elementen (Kommunikationen), aus denen es besteht.

Erst Programme fügen dem eindeutigen Code mehrdeutige Interpretationsmöglichkeiten hinzu. Dabei handelt es sich um weitere Kriterien, mit denen sich feststellen lässt, ob der Code richtig/falsch angewendet wurde. Oder ob etwas änderbar/nicht änderbar ist.

Im Rechtssystem gibt es ausschließlich Konditionalprogramme. Wenn-dann-Bedingungen legen fest, wie unter welcher Bedingung zu entscheiden ist. Konditionalprogramme definieren auf beiden Seiten des Codes Bedingungen für die richtige Zuordnung der Werte.

Mit Konditionalprogrammen dynamisiert sich das System: Es muss kein Urteil abwarten, sondern kann sich an selbst definierten Bedingungen, Kriterien, Kategorien und Regeln orientieren. Es wird vom Zeitpunkt der finalen Entscheidung unabhängig.

Durch Konditionalprogramme managen Systeme auch ihr Verhältnis von Inklusion und Exklusion gegenüber der Gesellschaft. Sie bilden Organisationen und stellen Bedingungen auf, die Mitgliedschaft und Inanspruchnahme regeln.

Zugleich zwingt der zweiwertige Rechtscode die Gesellschaft ebenso wie alle anderen Funktionssysteme, die eigene Codes haben, ihre Normprojektionen auf die Form des Rechtscodes zu beziehen. Die Vielzahl möglicher Projektionen wird reduziert, z.B. die Frage, ob etwas moralisch/unmoralisch oder wirtschaftlich/nicht wirtschaftlich ist. Das erhöht die Unabhängigkeit des Systems von der Umwelt, in der es operiert.

Der binäre Code fungiert dabei als Medium, er ist ein Formwandler. Ein Medium ist eine lose Kopplung von Elementen, die vorübergehend eine strikte Kopplung eingehen und dann eine feste Form annehmen können.

Übertragen auf Rechtskommunikation heißt das: Eine strikte Kopplung liegt vor, solange die Kommunikation sich auf rechtliche Kondiditionalprogramme bezieht, die sich auf die Unterscheidung von Recht und Unrecht beziehen, also auf den Code. Endet die Bezugnahme auf Programm und Code, wird die Kopplung lose.

Konditionalprogramme sind eine evolutionäre Errungenschaft, die bereits vor rund 5000 Jahren bald nach der Erfindung der Schrift in Mesopotamien in Texten nachweislich ist. Konditionen verknüpfen Ursache und Wirkung, sie erzeugen Kausalität.

Die gesellschaftliche Differenzierungsform (tribal nach Stämmen, ständisch nach Adel/Volk oder funktional wie heute) ist für Konditionen dabei nur der Kontext, in dem zwischen Recht und Unrecht unterschieden wird.

Was bedeutet Technisierung des Codes? Welche Rückschlüsse lassen sich daraus für den Begriff des rationalen Entscheidens ziehen?

Mit zweiwertigen Codes bauen Systeme Bistabilität auf. Jeweils eine Seite des Codes bildet den Anschlusspunkt für die nächste Operation auf der anderen Seite. Der Anschlusspunkt wird abwechselnd von der einen Seite auf die andere verlagert (Kippschalter-Prinzip). Mit dieser Operationsweise wird der Code technisiert.

Technik bedeutet, dass etwas „funktioniert“. Eine geplante Operation ergibt das geplante Ergebnis. Alle Rationalitätskonstrukte der funktional ausdifferenzierten Systeme „funktionieren“ deshalb so gut, weil sie die zweiwertige Logik eines Codes verwenden – und die Logiken anderer Codes ignorieren können.

Technisierung kann als Bedingung für rationales Entscheiden gesehen werden. Dabei begrenzt die Code-Form, was jeweils als rational zu gelten hat. Was für das Rechtssystem rational ist, ist nicht gesamtgesellschaftliche Rationalität, sondern eben nur – Systemrationalität. Jedes codierte Funktionssystem hat seine eigene Systemrationalität.

Durch sein Konditionalprogramm, das sich auf den Code bezieht, konstruiert sich das Rechtssystem als Trivialmaschine: Bei gleichem Input kommt das gleiche Output heraus. Gleiche Fälle werden gleichbehandelt. Entscheidungsfindungsverfahren und finales Urteil unterscheiden normativ zwischen Recht und Unrecht. Die Maschine „funktioniert“.
Durch welche Operationsweise übt das Rechtssystem seine Funktion für die Gesellschaft aus?

Die soziale Funktion des Rechtssystems besteht darin, normative Verhaltenserwartungen kontrafaktisch zu stabilisieren. D.h. das Recht stabilisiert gleichermaßen die Erwartung von Unrecht und die Erwartung von Recht. Einerseits muss erwartet werden, dass es zu Unrecht kommen wird. Andererseits besteht guter Grund zur Hoffnung, dass Rechtsbruch rechtmäßig geahndet und Strafe (mittels Gewaltenteilung) durchgesetzt wird.

Diese normativen Erwartungen erzeugt und stabilisiert das Rechtssystem permanent durch seine Operationsweise auf der Grundlage des binären Codes, der alle Operationen in der Form von Konditionalprogrammen anleitet.

Anstatt wie einst die Vormoderne zwischen einer Hierarchie aus göttlichem Recht, Naturrecht und positivem (änderbaren) Recht unterscheiden zu müssen, benutzt das Recht als System Konditionalprogramme, die sich auf die Unterscheidung der Code-Werte beziehen, um zu einem Urteil zu gelangen, das es selbst als geltendes Recht bezeichnet. Diese technisierte Operationsweise erzeugt eine normative Verhaltenserwartung und stabilisiert diese sogleich mit jeder Operation (jedem Verfahren, Urteil).

Der Code hat gewissermaßen „Ewigkeit“ und „Natur“ ersetzt. Das positive Recht, das sich selbst ändern kann, liefern die Konditionalprogramme.

Welche Folgen hätte ein dreiwertiger Code?

Ein dreiwertiger Code wäre kaum praktikabel, da er eine nicht mehr operationable Komplexität und Verlangsamung erzeugen würde.

Ein Beispiel dafür ist die dreiwertige Unterscheidung Recht/Unrecht/Gemeinnutz im Mittelalter. Die „mehrwertige“ Logik wurde als Derogation (teilweise Aufhebung, Außerkraftsetzung) des Rechts erkannt.

Genauso verhielt es sich noch im 18. Jh. mit dem Wert der „Staatsräson“. Unrecht wäre demnach nicht zu ahnden, wenn die Ahndung den Frieden gefährdet. Demnach wäre Unrecht jedoch rechtens, eine inakzeptable Paradoxie.

Lösung: Auf der Code-Ebene ausgeschlossene Werte kommen im System dennoch zur Geltung, indem sie auf Programmebene wieder eingeführt werden. Die Bedingung hierfür ist, dass auch ihre Verwendung der Unterscheidung von Recht und Unrecht folgt.
Warum gibt es im Rechtssystem keine Zweckprogramme?

Recht muss durch Konditionen logisch (!) legitimiert sein. Nur durch Wenn-dann-Bedingungen kann das System in der Kommunikation laufend zwischen Selbstreferenz und Fremdreferenz unterscheiden. Selbstreferenz heißt, das System bezieht sich auf sich selbst, die Kommunikation unterscheidet Recht und Unrecht. Alle Fakten werden darauf limitiert, ob sie sich dem Code zuordnen lassen. Fremdreferenz bedeutet, die Kommunikation unterscheidet nicht zwischen Recht/Unrecht, sie bezieht sich auf etwas anderes; dann ist keine Rechtsrelevanz gegeben.

Nur Konditionen machen es möglich, immer feinere Unterscheidungen einzuziehen bei der Beurteilung, ob etwas Unrecht oder Unrecht ist. Das System kann sich ausdifferenzieren.

Zweckprogramme sind dagegen Um-zu-Programme: Strukturen, die die Operationen eines Systems wie der Wirtschaft leiten. In der Gegenwart beschlossen, dienen sie einem Ziel, das man in der Zukunft zu erreichen hofft. Die Wirtschaft investiert, um Gewinne zu machen.

Der Begriff des Zweckes ist dabei problematisch. Seit dem 16. Jh. wurde der Zweck als gegenwärtige Intention begriffen, jedoch ohne die Zeit als Faktor mitzubedenken.

Programme, die sich auf eine gegenwärtige Intention beziehen, zielen jedoch in die Zukunft. Sie verschleiern, dass sie die Zeit doppelt modalisieren: Die zukünftige Gegenwart wird immer eine andere sein als im Jetzt vermutet. Und auch der angestrebte Zustand wird nie eins zu eins der Zustand sein, der heute imaginiert wird.

Mit Zweckprogrammen versuchen Systeme, Chancen zu realisieren und gehen dafür Risiken ein. Im Rechtssystem gibt es dafür keine Entsprechung. Genau darum gibt es außerrechtliche (!) Einigungen. Anstelle der harten Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht stehen zweckdienliche Maßnahmen im Vordergrund. Ein Beispiel dafür ist die außergerichtliche Einigung für das Kindeswohl.

Warum beruht das Recht auf einer Paradoxie? Was bedeutet in diesem Zusammenhang re-entry?

Zweiwertige Systemcodes wie Recht/Unrecht entfalten in der praktischen Anwendung immer wieder die ihnen zugrundeliegende Paradoxie: Zwei gegensätzliche Werte, die einander strikt ausschließen, repräsentieren die Einheit des Systems.

Sie sind gleichzeitig relevant, können jedoch nie gleichzeitig benutzt werden. Das System führt seine leitende Unterscheidung in sich selbst ein (re-entry), aber nur auf der Seite des Rechts. Damit begründet es sich selbst: Es begründet rechtmäßig, dass seine Entscheidung Recht ist – und eben kein Unrecht. In der Formsprache von George Spencer Brown ist ein re-entry der Wiedereintritt der Form in die Form. Eine Unterscheidung wird in das Unterschiedene wieder eingeführt. Aber nur auf der einen Seite des Codes. Das Wort Recht taucht entsprechend zweimal auf.

Diese Paradoxie tritt in der Praxis regelmäßig auf, z.B. am Problem des Rechtsmissbrauchs. Wenn Recht Unrecht produziert, steht die Souveränität des Rechts in Frage.

Genau daran entzündet sich jedoch die Kommunikation und findet neue Lösungen. Insofern sind Paradoxien fruchtbar. Sie ermöglichen eine stete Evolution des Rechts. Es wächst daran, dass es die Paradoxie durch Konditionalprogramme auflösen muss.

Warum war die Entwicklung eines binär codierten Rechtssystems eine „evolutionäre Unwahrscheinlichkeit“?

Die Unterscheidung von Recht/Unrecht ist eine harte Unterscheidung. Die Voraussetzungen dafür gab es nur in Europa, wo exzeptionelle evolutionäre Bedingungen herrschten. Der wichtigste Grund dafür dürfte die frühe Entstehung des Römischen Zivilrechts sein, das bereits zwischen Delikten und Verträgen unterschied. Von dort aus sickerte die Unterscheidung in Alltagsbereiche ein, vor allem zur Klärung von Schuldverhältnissen.

So entstand auch die Figur des Risikos von wirtschaftlichen Zweckprogrammen. Eine gegenwärtig rechtmäßige Unternehmensentscheidung kann in der nicht absehbaren Zukunft unvorhersehbare soziale Schäden verursachen oder gar zur Gefahr für alle werden.

Z.B. ist die Atomkraft für Unternehmen nur ein ökonomisch kalkulierbares Risiko, gegen das man sich „abzusichern“ versucht. Für die Gesellschaft bedeutet sie jedoch Gefahr für alle.

Ist der Schadensfall groß, leuchtet die Rechtmäßigkeit des Handelns nur noch schwerlich ein. Im Rückblick erscheint Recht als Unrecht. Aufgrund dieser Paradoxie mussten Lösungen gefunden werden. Durch Konditionalprogramme lässt sich paradoxes Recht auflösen. Das Risiko wird an Bedingungen geknüpft, wie es verringert werden kann, um die „Sicherheit“ zu erhöhen. Sicherheit ist jedoch eine Zukunftsprognose ohne Garantie.

Welche Bedeutung haben Verfahren? Inwiefern ist der Faktor Zeit in diesem Zusammenhang relevant?

Das Recht operiert zeitlich nachgeschaltet, es arbeitet Ereignisse aus der Vergangenheit auf.
Das Verfahren zählt zu den bedeutendsten evolutionären Errungenschaften.

Verfahren sind durch Anfang und Ende markiert. Die rein logische Unterscheidung von Recht/Unrecht wird damit temporalisiert: Die Entscheidung wird in die Zukunft verlagert.

Es handelt sich um selbsterzeugte Ungewissheit, wie das Verfahren ausgehen wird („Schleier des Nichtwissens“, Rawls) bei gleichzeitiger Zuversicht, dass es zu einer Entscheidung kommen wird.

Die Ungewissheit bedeutet einen dritten Wert für das System. Es kann sich während des Verfahrens selbst beobachten und bezeichnen, indem es auf den ungewissen Ausgang verweist.

Aus dieser selbstreferentiellen Operationsweise hat sich ein Verfahrensrecht entwickelt, das von materiellem Recht unterschieden wird.

Vom Verfahren zur Moral: Warum ist Moral kein dem Recht vergleichbares Funktionssystem?

In der Fähigkeit, durch ein Verfahren vorübergehend Ungewissheit zu erzeugen und gleichzeitig die Aussicht auf Entscheidung aufrechtzuerhalten, liegt womöglich der entscheidende Unterschied zwischen Rechtssystem und Moral.

Die Moral kann keinen dritten Wert aus ihrem Code gut/böse schöpfen. Sie hat kein „Verfahren“ an der Hand, mit dem sie die Zuordnung von Gut und Böse in die Zukunft schieben könnte.

Ethik käme dem Wert, den ein Verfahren bietet, wohl am nächsten. Die Semantik der Ethik wäre jedoch wenig geeignet, um sich daran zu orientieren. Moral hat keine vergleichbare Instanz.

Moral ist ein Kommunikationssystem, aber kein Funktionssystem der Gesellschaft. Ihre Funktion ist gerade nicht eindeutig.

Inwiefern blitzt die Paradoxie des Codes auch im Verfahrensrecht auf?

Theorien und teleologische Konzepte des Rechtsverfahrens idealisieren das Verfahren als Weg zu Konsens und Gerechtigkeit. Das ignoriert die logische Kehrseite des Verfahrenssystems: Je nach Perspektive der Beteiligten und der externen Beobachter kann das Verfahren auch ungerecht wirken. Aus dieser Sicht besteht dann kein Konsens.
Eine soziologische Theorie muss weitergehen. Sie muss nach der zugrundeliegenden Form der Unterscheidung fragen, die benutzt wird, um eine Operationsweise wie das Verfahren als Verfahren zu bezeichnen.

Demnach ist das Verfahren eine Selbstbezeichnung des Rechtssystems. Verfahrenstheorien sind Selbstbeschreibungen.

Verfahren sind Programme, mit denen das Rechtssystem seinen Code temporalisiert, genauer: futurisiert.

Innerhalb des Rechtssystems bildet das Verfahren ein Subsystem. Dieses vollzieht seine Autopoiesis von der Eröffnung des Verfahrens bis zum Ende. Danach kommt die Kommunikation zum Erliegen.

Während des Verfahrens macht die protokollierte Kommunikation aus den Teilnehmern Mitwirkende: Sie werden zu „Gefangenen“ ihrer eigenen Aussagen.

Wie produziert das Rechtssystem seine Eigenzeitlichkeit?

Das Rechtssystem filtert aus externen Fakten nur jene heraus, die es als rechtsrelevant markieren kann. Alles andere wird abgeschnitten. Damit schafft es sich eine Eigenzeitlichkeit. „Sonstige“ Ereignisse und Bedingungszusammenhänge, die aus Perspektive der Umwelt mit dem Fall zusammenhängen und eine lange Geschichte haben können, werden ignoriert. Die Systemhistorie erfasst nur die Ereigniszeitpunkte ausgewählter rechtsrelevanter Fakten.

So erzeugen auch Verfahren durch die Markierung mit Anfang und Ende ihre eigene Zeitautonomie. Sie besitzen eine Eigenzeitlichkeit, völlig unabhängig davon, was Prozessbeteiligte oder externe Beobachter wie etwa die Presse für Beginn und Ende des Rechtstreits halten. Der Streit hatte ohnehin vor dem Verfahren angefangen; womöglich hält er auch danach weiter an.

Zu beachten ist, dass diese Operationsweise hochgradig artifiziell ist. Luhmann betont, dass Verfahren, die vorübergehende Ungewissheit erzeugen, indem sie die Entscheidung in die Zukunft verlagern, zu den bedeutendsten evolutionären Errungenschaften zählen.

Was bedeutet zeitliche Selbstjustiz?

7. und letzter Abschnitt des 4. Kapitels: über den Faktor Zeit. Wie das Rechtssystem Eigenzeitlichkeiten schafft sowohl in Bezug auf die Vergangenheit als auch für die Zukunft.

Codierung und Programmierung sind zeitlich in zweifacher Weise unabhängig: von der Eigenzeitlichkeit des Verfahrens als auch von der Umweltzeit.

Es ist egal, wann der Streit anfing. Und es ist egal, wie lange das Verfahren dauert. Code und Programme berücksichtigen lediglich Fakten aus der Vergangenheit, die rechtsrelevant sind, völlig unabhängig von deren Eigenzeitlichkeit.

Beispiele sind das Grundbuch, das nichts anderes als die Eintragung der Eigentumsverhältnisse zum Zeitpunkt X festhält und keinerlei weitere Fakten um den Erwerb eines Grundstücks herum. Beispiel 2 ist die Verjährung, mit der das Recht erklärt, das ein rechtsrelevanter Sachverhalt zukünftig nicht mehr rechtsrelevant ist.

Das gilt auch für den Umgang mit der Zukunft. Ein rechtskräftiges Urteil bezieht sich auf Vergangenes und wirkt in die Zukunft hinein. Mit dieser Form zeitlicher Selbstjustiz verhindert das Rechtssystem, dass unvorhersehbare Bedingungen in der Umwelt zu Interferenzen führen könnten.

D.h. das Rechtssystem schneidet die Möglichkeit ab, dass sich die Umwelt auf Umweltzeiten beziehen kann. Es festigt damit seine operative Schließung als autonomes Funktionssystem.

Es produziert eigene Zukünfte und eigene Vergangenheiten. Der Preis dafür ist eine zeitliche Desintegration in Bezug auf andere Eigenzeitlichkeiten der Gesellschaft.

Wie kompensiert das Rechtssystem die zeitliche Desintegration der Gesellschaft?

Kompensiert wird die zeitliche Desintegration durch rechtliche Einrichtungen. Allen voran die jederzeitige Ansprechbarkeit: Jeder kann das Rechtssystem jederzeit nutzen.

Durch detaillierte Spezifikation wird außerdem soviel Inanspruchnahme von Zeit zugesichert, wie das System eben für den Fall braucht. Man könnte sagen: Die Gesellschaft kann sich darauf verlassen, dass gründlich gearbeitet wird.

Wie entwickeln Systeme Strukturen?

Strukturen werden oft als etwas angesehen, das man isoliert herstellen könnte, um sie anschließend für Kommunikation zu nutzen. Dieses Bild ist jedoch schief. Das Rechtssystem entwickelt Strukturen, indem es Recht produziert. Und indem es Recht produziert, entwickelt es Strukturen. Produktion und Struktur können nur analytisch voneinander unterschieden werden, operativ sind sie nicht voneinander zu trennen.

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