Nr. 15: Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 62, K. 02

Nach der Erläuterung, was Autonomie in sozialen Systemen bedeutet, zeigt Luhmann auf, wie das Rechtssystem durch code-orientierte Kommunikation seine eigenen Grenzen zieht.

Autonomie ist eine Konsequenz von operativer Geschlossenheit und nicht etwa gleichbedeutend damit. Der Begriff bezieht sich auf die Kommunikation des Systems und nicht, wie im Rechtsalltag üblich, auf Personen oder Institutionen, deren Unabhängigkeit (z.B. von der Politik) damit betont werden soll.

Der in der Soziologie übliche Begriff von „relativer Autonomie“ ist hier eher verwirrend, weil er von Kausalbeziehungen, also von bestimmten externen Ursachen mit bestimmten internen Wirkungen ausgeht, ohne den Begriff selbst zu klären. Für eine Theorie sozialer Systeme ist das zu ungenau. Diese besagt, dass Systeme die Elemente (Kommunikationen), aus denen sie bestehen, aus sich selbst heraus reproduzieren.

Luhmann will den Begriff der Autonomie darum ausschließlich am Begriff der Autopoiesis erhärten.

Zu Abschnitt V (ab S. 66):

Luhmann setzt nun voraus, dass wir bei sozialen Systemen von Autopoiesis, von operativer Geschlossenheit und von Autonomie ausgehen können (immer in Bezug auf Kommunikation). Auf dieser Basis fragt er nun: Wo zieht das System – in der Kommunikation erkennbar – seine eigenen Grenzen?

Alltagsbeispiele zeigen, wo die Grenze verläuft: entlang des Codes Recht/Unrecht. Jede code-orientierte Kommunikation, die sich auf die Unterscheidung der Werte Recht/Unrecht bezieht, gehört demnach ins Rechtssystem. Dagegen gehören Kommunikationen ohne Referenz auf diese Unterscheidung nicht dazu.

Nach dieser Definition von rechtsspezifischer Kommunikation gehört ein sehr viel breiteres Spektrum an Kommunikation ins System als man gemeinhin annehmen könnte. Nämlich nicht nur die professionelle Kommunikation von Richtern, Anwälten usw., sondern auch die Kommunikation von politischen Initiativen oder Verbänden, die Gesetzesänderungen fordern, sich also auf den Code beziehen.

Der Alltag des Rechtssystems ist durch den Code geprägt: Bis zum Urteil besteht stets Unsicherheit, ob etwas als Recht oder als Unrecht beurteilt wird.

Zugleich wird klar, dass rechtsspezifische Kommunikation nicht aus der Umwelt ins System „importiert“ werden könnte. Dies entspräche einer „Input-type description“ in der Kybernetik, d.h. einer Beschreibung, wie eine Maschine Inputs erhält, aus denen sie Outputs erzeugt. Eine solche Transaktion gibt es nicht.

Stattdessen ist das Rechtssystem ein operativ geschlossenes Kommunikationssystem. Die Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht kann nur im Rechtssystem und von keiner anderen Instanz in der Gesellschaft vorgenommen werden. Das Recht realisiert sich über diese Code-Referenz.

Es handelt sich um eine „closure-type description“. Die Schließung (closure) des Systems erfolgt mithilfe von Beobachtung: Ein System beobachtet sowohl sich selbst als auch seine Umwelt.

Die Beobachtung ist eine Funktion im System. Ein Beobachter benutzt den Code als „Form der Anschauung“ und transferiert Ereignisse in der „Außenwelt“ in codierte Ereignisse in seiner Umwelt. (Außenwelt ist kein Theoriebegriff, er steht hier sinngemäß für den unmarked space, das nicht Beobachtbare.)

Zur operativen Geschlossenheit von Funktionssystemen addieren sich also mittlerweile einige weitere Eigenschaften: Das Rechtssystem ist ein autopoietisches, operativ geschlossenes, sich selbst und die Umwelt beobachtendes und beschreibendes System.

 

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